Bahnrad-WM: Joachim Eilers und die genialen Momente

 

In London erfüllte sich der Bahnsprinter vom Chemnitzer PSV einen Kindheitstraum.

Von Martina Martin /Freie Presse
erschienen am 03.03.2016

London. Trainer Ralph Müller hielt es nicht mehr auf seinem Platz im oberen Rang. Er schrie stetig Anfeuerungsrufe hinunter in das Oval, gestikulierte, hoffte - und als es vollbracht war, vollführte er Freudensprünge. Während sich Joachim Eilers vom frenetischen Publikum auf der Ehrenrunde nach seinem Triumph feiern ließ, wollte der Coach fotografieren. Doch auf Anhieb gelang das nicht, da zitterten nach der Aufregung die Hände zu sehr. Später, als sein Schützling auf dem Podest das Regenbogentrikot übergestreift hatte und textsicher die Hymne mitsang, konnte er dann die entscheidenden Augenblicke trotz Rührung festhalten. "Solche Momente sind für mich das absolut Höchste. Das live zu erleben, ist einfach der Wahnsinn. Und ,Jo' hat sich das so sehr verdient", meinte der 52-Jährige auch nach der Siegerehrung noch sichtlich bewegt.

 

Joachim Eilers selbst überwältigten in dieser Sternstunde gleichfalls seine Emotionen. So spontan, so strahlend, so aufgekratzt, hat sich der Chemnitzer wohl noch nie in der Öffentlichkeit präsentiert. Doch nach diesem Triumph im 1000-m-Zeitfahren brachen bei ihm alle Dämme. "Es ist einfach genial, endlich einmal Weltmeister zu sein. Für mich hat sich ein Kindheitstraum erfüllt", jubelte der 25-Jährige, dem bei seiner siebenten WM-Teilnahme der größte Coup gelang. Zuvor hatte er in dieser Disziplin, die leider nicht mehr zum olympischen Programm gehört, einmal Bronze und zweimal Silber erkämpft - da blieb nur noch der sehnliche Wunsch nach Gold.

Doch plötzlich legte der 32-jährige Niederländer Theo Bos - der bereits fünffache Weltmeister und Olympiasieger (2004) war nach seinem Wechsel auf die Straße wieder auf die Bahn zurückgekehrt - als zweiter Athlet eine Superzeit, die Trainer und Athlet gleichermaßen überraschte, vor. Und diese stand auch an der Spitze, als Joachim Eilers als letzter Starter in die Pedale trat. Alles Bangen beim Blick auf die Zwischenresultate blieb letztlich unbegründet, denn der mehrfache Europameister und Weltcupgewinner hielt seinen Vorsprung bis zum Schluss - über vier Zehntel zeigten seine Dominanz. "Es war keineswegs ein optimaler Lauf von mir, denn ich bin auch Schlangenlinien gefahren. Da dachte ich schon, es klappt wieder nicht. Doch ich habe um jeden Meter gekämpft. Und als das Publikum auf der letzten Runde tobte, wusste ich, dass ich noch führte", schilderte Joachim Eilers seinen Auftritt, der nur eine Winzigkeit mehr als eine Minute (1:00,042) dauerte. "Auf dieser Bahn absolut eine Superzeit", konstatierte der Coach.

Damit es mit diesem Triumph einmal klappte, hatten die Chemnitzer auch immer wieder nach neuen Reserven gesucht, beispielsweise beim Material. So raste der Weltmeister mit einem noch tiefer liegenden Lenker um die Bahn, wobei ihm dabei auch die Erfahrungen der Ausdauerspezialisten zugute kamen. Zudem präsentierte er sich wie schon bei vorangegangenen Höhepunkten auf den Punkt genau in Topform. Wobei sein überragender Leistungsstand dieses Mal noch bemerkenswerter ist, weil er sich nach einer schweren Schulterverletzung im Sommer erst zurückkämpfen musste. Das tat er aber mit enormem Ehrgeiz, konnte so schon bei der EM im Herbst und bei den zwei folgenden Weltcups mit Topplatzierungen glänzen.

Auch im Teamsprint, der ersten WM-Entscheidung am Vortag, die er gemeinsam mit seinem Vereinsgefährten Max Niederlag und dem Erfurter René Enders bestritt, war es vor allem ihm zu verdanken, dass es am Ende Bronze gab. In der Qualifikation fuhr er in der dritten Runde die schnellste Zeit aller Kontrahenten auf dieser Position. Mit dem minimalen Vorsprung von einer Tausendstelsekunde gelang so noch der Einzug ins kleine Finale, in dem dann Frankreich bezwungen wurde. Zunächst wirkte das Trio trotzdem enttäuscht, denn nach zwei Weltcupsiegen lagen die Erwartungen höher. So konnte sich auch Max Niederlag über seine erste WM-Medaille bei den Männern nicht so recht freuen, zumal er auch mit seiner eigenen Leistung haderte. Am Freitag beginnt für den 22-Jährigen mit dem Sprintturnier die zweite Chance, bei der auch er in der Spitze mitfahren will. Joachim Eilers indes kann erst einmal zwei Tage durchatmen, ehe er am Sonntag im Keirin antritt. "Da will ich es noch einmal wissen, jetzt habe ich Blut geleckt", zeigte sich der frischgekürte Champion im Gewinneroutfit angriffslustig.

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